12. August 2024

Gemeinsam verschieden – Austausch unter Männern verbindet

12. August 2024

Gemeinsam verschieden – Austausch unter Männern verbindet

Es ist ein Sommertag an einem Platz im Bremer Osten – genauer gesagt in Bremen-Hemelingen, sechs Kilometer entfernt vom Bremer Zentrum am rechten Ufer der Weser. Das Hemelinger Bürgerhaus ist ein Treffpunkt für alle Bürger:innen mit vielfältigen kulturellen Angeboten. Vor allem aber ein Ort für soziales Engagement, Begegnung und Kommunikation. Im Jahr kommen hier tausende Besucher:innen mit unterschiedlichen Interessen zusammen und nutzen die zahlreichen Angebote. An diesem Tag befinden sich ungewöhnlich viele Männer dort. Sogar mehr Männer, als sich üblicherweise im Rahmen des Männerschuppens treffen, der vor eineinhalb Jahren in den Räumlichkeiten des Bürgerhauses seinen Ursprung fand und durch engagierte Männer ausgestaltet wird.

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Beitrag von Lennart Semmler

Eine Graswurzelbewegung aus Australien

An diesem Tag treffen sich 35 Männer aus verschiedenen Regionen in Bremen und Niedersachsen auf dem hergerichteten Vorplatz. Anlass ist das Sommerfest aller am Modellprojekt MARS beteiligten Männerschuppen. Dabei handelt es sich um Treffpunkte von und für Männer, bei denen gemeinsame Aktivitäten geplant und umgesetzt werden und soziale Beziehungen sowie Gemeinschaft im Mittelpunkt stehen. Die teilnehmenden Männer entscheiden selbst, welchen Aktivitäten sie im Männerschuppen nachgehen möchten. Das Projekt wird von der Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen Bremen e. V. und dem Institut für Public Health und Pflegeforschung der Universität Bremen umgesetzt. Mit dem Projekt wird das Ziel verfolgt, das Konzept für Nordwestdeutschland in und um Bremen zu erproben und dabei die Prozesse im Männerschuppen und gesundheitsbezogenen Effekte wissenschaftlich zu erforschen. Das Modellprojekt wird vom Bundesministerium für Gesundheit gefördert.

Seit Projektstart im April 2022 sind insgesamt acht Männerschuppen im Rahmen des Projekts initiiert worden. Aus jedem der Schuppen ist an diesem Tag mindestens ein Vertreter gekommen. Ein guter Zeitpunkt, um sich untereinander kennenzulernen, sich auszutauschen und voneinander zu lernen.

Bernhard, Manfred und weitere Hemelinger Männer kommen größtenteils mit dem Fahrrad. Auch die Männer aus der Bremer Neustadt und die Gruppe arabischer Männer aus der Grohner Düne haben es nicht weit. Aus Bremerhaven, Verden und Metjendorf reist man mit der Bahn oder mit dem Auto an. Eine frische Meeresbrise bringt Andrew Gordon mit. Er hat den ersten Männerschuppen auf der Ostseeinsel Poel gegründet. Andrew ist in Australien geboren, dort, wo der Ansatz der Männerschuppen bereits in den 1990er Jahren seinen Ursprung fand. Zu seinen Berührungspunkten mit dem Ansatz sagt er: „Vor sieben bis acht Jahren bin ich mit den Männerschuppen in Kontakt gekommen. Viele meiner australischen Freunde engagieren sich in Männerschuppen. Sie haben mich motiviert, es auch auf der Insel Poel zu probieren. Immer wenn ich in Australien bin, besuche ich ein paar Schuppen“.

  • Andrew Gordon im Gespräch mit Männern aus Hemelingen

In Deutschland sind Männerschuppen noch lange nicht so etabliert wie in Australien, Irland oder Kanada. In Irland existieren bereits über 450 solcher Treffpunkte für Männer mit 10.000 Besuchern pro Woche. Zur Einordnung: Als das Bürgerhaus in Hemelingen im Jahr 1984 eröffnet und von männergerechten Angeboten in Deutschland noch keine Rede war, hatte das Thema im internationalen Raum bereits Einzug gehalten. Man sagt, dass der erste Männerschuppen im Jahr 1988 im australischen Tongala gegründet wurde. 36 Jahre später findet in Bremen das erste gemeinsame Sommerfest verschiedener Männerschuppen auf deutschsprachigem Boden statt – „endlich“, möchte man sagen.

Kommunikation braucht richtigen Rahmen

Die Männer unterhalten sich bei Kaffee und Kuchen. Es geht um Privates, um Banales, um Männerschuppen, um Klönschnack aller Art – und sicherlich auch mal um Gesundheit. Ähnlich wie im Männerschuppen selbst. Neben vielfältigen Aktivitäten ist der persönliche Austausch der gemeinsame Nenner und Ziel der Männerschuppen: Unter sich bleiben, jeder bringt sich ein, wie er mag und vor allem ungezwungen und stressfrei soll es sein, so das Credo, wie sich in vielen Gesprächen herausstellte. Dass Männer nicht gerne über das sprechen, was sie bewegt, ist ein überholtes Klischee und vielmehr ein Problem der Beschaffenheit von Angeboten. Jene Angebote der Gesundheitsförderung und Prävention berücksichtigen oftmals nicht die unterschiedlichen Bedarfe und Bedürfnisse von Männern und lassen den Einfluss althergebrachter, toxischer Männlichkeitsbilder ungeachtet. Diese erschweren den Zugang zu Gesundheit und Selbstfürsorge, weshalb es zu berücksichtigen gilt, in welchem Setting Gesundheitsthemen männergerecht transportiert werden können und wie eine positive, vorurteilsfreie Ansprache gelingen kann. Weg von den Schwächen hin zu den Stärken und ausgehend von den Bedürfnissen der Männer sollten Angebote gestaltet sein – ohne dabei dem vermeintlichen „Gesundheitsmuffel“ bereits in der Ansprache ins moralische Gewissen zu reden.

Initiativen wie #MenStartTalking und „In good Company“, die die Bedeutung von sozialen Beziehungen unter Männern in den Vordergrund rücken, sind weitere Beispiele guter Praxis. Und auch hierzulande kann Kommunikation unter Männern über persönliche Themen oder Gesundheit gelingen, wenn der Rahmen stimmt. Manchmal braucht es dafür nur einen Grill und einen Sprachmittler, um eine aus Syrien stammende Männergruppe aus der Grohner Düne in Bremen mit dem Männerschuppen Metjendorf der Gemeinde Wiefelstede im Landkreis Ammerland in Niedersachsen zu vernetzen.

  • Syrien meets Metjendorf

Die Männerschuppen stellen sich vor

„Heute bin ich hierhergekommen, um etwas über die anderen Männerschuppen zu erfahren und etwas für unseren Männerschuppen mitzunehmen“, berichtet ein Mann aus der Bremer Neustadt. Im Vorfeld wurden die Männer gebeten, ihre Männerschuppen in einem kurzen Vortrag vorzustellen. Deutlich wird, dass alle Schuppen trotz ihren Gemeinsamkeiten sehr unterschiedlich sind. Dies beginnt bei den Aktivitäten wie Reparaturarbeiten, EDV-Kursen, Fahrradtouren, Karten spielen, Ausflügen oder Kochen und geht weiter bei der Frequenz der Treffen sowie den Austausch- und Kommunikationsmedien der Schuppen. Von Gesprächen vor Ort, über Messenger, digitale Tools bis hin zu Social Media oder Websites ist alles dabei.

Auch Angebote zum Thema Gesundheit wurden und werden umgesetzt, z.B. ein Schwimmlernkurs, eine Erste Hilfe Party und ein Beratungsangebot zu gesundheitsbezogenen Angeboten im Stadtteil. „Wichtig für mich war, dass wir ‚Gesundheit‘ nicht auf das Eingangsschild schreiben“, sagt Andrew. Das würde anfänglich eher abschrecken und entspräche nicht dem Gedanken, Gesundheit „durch die Hintertür“ zu bespielen.

Gemein haben alle Schuppen, über das Tun ins Sprechen zu kommen. Darüber hinaus sind fast alle Schuppen an eine Einrichtung im Stadtteil gebunden, die als Anlaufstelle für die Bürger:innen vor Ort dient. Die Männerschuppen befinden sind in Bürger-, Gemeinde-, Altbürger- und Mehrgenerationenhäusern oder Stadtteilbüros. Ein Männerschuppen ist in einer Bibliothek angesiedelt, die als so genannter „Dritter Ort“ aktuell einen Wandel zu einem gesellschaftlichen Knotenpunkt und Raum für Teilhabe durchläuft. Etwas anders sieht es auf der Ostseeinsel Poel aus. Durch die Überlassung eines Gebäudes, welches unter anderem eine 120qm² große Halle und einen Werkstatt- sowie Aufenthaltsraum beinhaltet, konnte dort quasi „bottom up“ geplant werden. Darüber hinaus wurden Anstrengungen unternommen, den Männerschuppen Poel als Verein eintragen zu lassen. „Aktuell sind wir damit befasst, die Gemeinnützigkeit unseres Vereins anerkennen zu lassen“, sagt Andrew. Auch die Vereinsgründung ist ein Alleinstellungmerkmal des Schuppens in Poel.

  • Kurzvorstellungen und Diskussion

Die Gründung und Umsetzung eines Männerschuppen ist ein Prozess, auch das wird deutlich. Das kann auch schon mal einen Neustart bedeuten, wie aus Metjendorf berichtet wird: „Als ich dazu kam, waren wir zu viert. Beim nächsten Treffen zu zweit. Dann war ich allein da“. Für einen neuen Anlauf hätten dann gar nicht die Männer selbst gesorgt, berichten sie scherzhaft: „Ausgerechnet unsere Frauen, die miteinander befreundet sind, haben uns in dieser Konstellation zusammengebracht“, schildern sie. Durch den Neustart konnten sie ihre ursprüngliche Anzahl wieder herstellen. Verstärkte Öffentlichkeitsarbeit soll weitere Mitglieder generieren. Dranzubleiben und ein wenig weibliche Unterstützung haben sich also gelohnt. Deutlich wird, dass der Aufbau von Männerschuppen und der dazugehörige Beziehungsaufbau Zeit benötigen.

Ausklang und Herausforderung Nachhaltigkeit

Zurück auf dem vorbereiteten Festplatz, auf dem der Caterer zwischenzeitlich das Essen herrichtete, wurde der gemeinsame Ausklang des Sommerfestes eingeläutet. Mit tatkräftiger Unterstützung einiger Grillprofis sollten alle Männer versorgt werden.

  • Grillprofis unter sich

Was bleibt, ist der Wunsch, sich in der Zukunft weiter zu vernetzten. Die Veranstaltung hat verdeutlicht, wie wichtig und verbindend der Austausch unter Männern ist. Männerschuppen bieten ihren Mitgliedern einen Rahmen, um sich anderen und sich selbst zu öffnen. Sie scheinen auch als Türöffner zur eigenen Gesundheit zu fungieren. In Deutschland befinden wir uns bei der Etablierung von Männerschuppen noch in den Kinderschuhen, auch wenn die ersten Schritte unternommen sind. Das Engagement und das Feedback der Männer stimmen jedoch hoffnungsvoll, mit Männerschuppen einen wirkungsvollen Ansatz auf den Weg gebracht zu haben, um den Bedarfen und Bedürfnissen von Männern gerecht zu werden.

Das Modellprojekt MARS läuft noch bis zum 31. März 2025. Für die verbleibende Projektlaufzeit steht vor allem die Frage im Mittelpunkt, wie die bestehenden Männerschuppen neue Mitglieder gewinnen können und welche Hilfestellungen benötigt werden, damit die Männerschuppen auch über das Projektende hinaus eigenständig weitergeführt werden können.

Damit interessierte Institutionen und Kommunen Männerschuppen eigenverantwortlich planen und umsetzen können, wird zum Ende des Projektes eine Handlungshilfe veröffentlicht, die das internationale Praxiswissen zum Thema bündelt und um die Erfahrungen aus Modellprojekt erweitert wird. Die Handlungshilfe wird frei verfügbar sein und dazu ermutigen, das Konzept der Männerschuppen und das Thema der Männergesundheit deutschlandweit stärker in den Blick zu nehmen.

Weitere Informationen zum Projekt: www.gesundheit-nds-hb.de/projekte/mars